Seit 2002 fährt das Friedhofsmobil Senioren und gehbehinderte Menschen zur letzten Ruhestätte ihrer Angehörigen.
VON ANNA HÖRTER
Von der lärmigen Straße biegt der silberne Kleinbus rechts in die Friedhofseinfahrt ab. Kurz winkt Fahrer Godehard Bettels dem Pförtner und dann schleicht der Wagen über die begrünten Wege von Melaten. Vorbei an der Millionärsallee, in eine kleine asphaltierte Gasse. Neben einem hellbraunen Holzkreuz bleibt Bettels stehen und öffnet seinem Fahrgast die Tür. Ingrid Haltern ergreift seine Hand, steigt aus und geht ein paar Schritt auf das Kreuz zu. Sie besucht das Grab ihres Ehemannes. Seit 2002 fährt das Friedhofsmobil Senioren und gehbehinderte Menschen zur letzten Ruhestätte ihrer Angehören. Im Verlauf der Woche steuert Fahrer Bettels alle 59 Friedhöfe der Stadt an. Der kostenlose Service ist einmalig in Deutschland. Eine Sondergenehmigung erlaubt dem Mobil, die Fahrgäste direkt an die Gräber zu befördern. Einige steigen dann aus, andere bleiben lieber sitzen und schauen durch die offene Beifahrertür auf die letzte Ruhestätte ihrer Angehörigen.
Für Ingrid Haltern ist die Fahrt mit dem Friedhofsmobil am vorigen Mittwoch eine Premiere. Einmal pro Woche besucht sie das Grab ihres Mannes, der im Oktober 2016 verstarb, auf Melaten. „Es ist erstaunlich, wie lebendig die Beziehung zu einem Toten sein kann“, sagt die Witwe. Am Grab könne sie ungestört Zwiesprache mit ihm halten.
Früher kam sie mit dem Taxi, manchmal bat sie den Fahrer, sie zu begleiten. Der Taxameter lief dann weiter. Ein finanzieller Aufwand, den sich kaum jemand auf Dauer leisten könne, so die Witwe. „Man darf nicht zu stolz sein, Hilfe anzunehmen.“
Diese Hilfe will das Friedhofsmobil nun leisten. Ständig wachse die Zahl der Senioren, die Friedhöfe in Köln nicht mehr besuchen könnten, führt Josef Terfrüchte aus. „Ich habe mich gefragt, wie wir helfen können“, erinnert sich der pensionierte Friedhofsgärtner an seinen Impuls, das Friedhofsmobil ins Leben zu rufen.
Wem der Weg zum Friedhof zu weit oder beschwerlich ist, der kann telefonisch einen Termin für eine Friedhofsfahrt machen (Tel. 0800/ 789 77 77). Der Verein Senioren Servicedienste Köln, der aus Mitgliedern der Genossenschaft der Friedhofsgärtner besteht, rät dazu, sich frühzeitig anzumelden. Der Fahrdienst ist oft ausgebucht. Derzeit müssen Kunden sechs bis acht Wochen auf einen Termin warten. „Wir können nicht alles leisten“, erklärt Terfrüchte. Das Friedhofsmobil werde durch Mitgliedsbeiträge des Vereins sowie durch Spenden finanziert. Damit lasse sich nur ein Wagen inklusive Fahrer unterhalten – aber immerhin habe das schon 15 Jahre lang geklappt. „Mein Wunsch ist, dass wir den Dienst noch lange erhalten“, sagt der Vorstand. „Wer weiß, wo wir selber mal hinkommen.“
Fahrgast Ingrid Haltern zumindest ist begeistert von dem Dienst. Sie habe sich immer davor gefürchtet, allein auf den Friedhof zu gehen. Mit Fahrer Godehard Bettels fühlt sie sich sicher. „Das ist eine so tolle Sache“, sagt die Witwe nach dem Besuch.
„So einen Dienst muss es geben“, stimmt ihr der Fahrer zu. Der Grabbesuch sei ein wichtiges Bedürfnis für seine Gäste, meistens ältere Frauen, die er „meine Mädels“ nennt. Sie entspannten sich und wirkten glücklich, wenn sie wieder am Grab seien. Mit der Zeit lerne man die Gäste gut kennen. Der Fahrer ist die gute Seele des Friedhofmobils. Er spricht mit seinen Gästen, nimmt Anteil an ihrer Trauer. Manchmal hält er noch auf dem Hinweg an einem Blumenladen. „Die Leute sind total offen und ich kann zuhören“, sagt der gelernte Illustrator.
Die so zurückgelegten Kilometer haben sich inzwischen summiert. Knapp 350 000 sind es in 15 Jahren – das ist fast der Abstand zwischen Erde und Mond.